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Pressebericht zur Gedenkveranstaltung


Gedenken an Pogromnacht

"Der Rabbi sang gut"

Überlebender erinnerte sich - Neue historische Fakten

Von Jürgen Röhrig

Niederkassel - Den Stimmen in Deutschland, die den Fall Holocaust für beendet und nicht
mehr diskussionswürdig erklären möchten, setzten Bürger im Kreis am Wochenende einiges an
Erinnerungsarbeit entgegen. Eine sehr gelungene Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag der
Reichspogromnacht
erlebten 120 Gäste am Sonntagabend im Lülsdorfer Schulzentrum.
Überlebende der Judenverfolgung, Historiker und Schüler gestalteten das Programm
gemeinsam. Es gab Erschütterndes zu hören, neue Details der Lokalgeschichte kamen ans Licht,
aber es war auch ein fröhlicher Abend - mit Musik (unter anderem sang der Schulchor des
Kopernikus-Gymnasiums ein jüdisches Lied), mit Gelegenheiten, Menschen zu begegnen und
sich zu verständigen.

Norbert Cahn, der einzige Überlebende der Mondorfer Synagogen-Gemeinde, aus dem
schwedischen Helsingborg angereist, erzählte aus seinem Leben und beantwortete Fragen. Für
Bürgermeister Walter Esser hatte er ein Geschenk mitgebracht. Esser hatte zuvor bei der
Begrüßung vehement darauf hingewiesen, dass ein "kollektives Vergessen droht", und damit die
Gefahr der Wiederholung steige. Esser: "Ein Schlussstrich unter die Holocaust-Debatte würde
die Erinnerung kappen. Wir haben aber die Pflicht, die junge Generation zu informieren."

Und junge Menschen wollen etwas wissen über das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.
Die Idee, Überlebende und Angehörige von Opfern einzuladen und zu befragen, kam von
Schülern der Schule, die gemeinsam mit ihrem Geschichtslehrer Georg Langen die Spuren
jüdischen Lebens in Niederkassel erforscht
und in einer Ausstellung dokumentiert haben, die
jetzt im Rathaus zu sehen ist. Die Arbeit und einige Ergebnisse schilderten Langen und ein
Schüler den Zuhörern. "Sechs Männer aus Mondorf und SA-Leute aus Siegburg und
Seligenthal", so die Forscher, haben in der "Kristallnacht" die Synagoge an der Provinzialstraße
zerstört.

1942 gab es keine Juden mehr im Amtsbezirk. Glück hatten die, die wie Cahn frühzeitig
flüchteten. Der in Sieglar geborene Schuhmacher emigrierte 1939. Er erinnerte sich gut an den
Gottesdienst jeden Samstag, den Rabbi Gottschalk aus Rheidt geleitet hatte: "Ein guter Sänger."
Dessen Nachfahren und deren Angehörige waren jetzt aus Deutschland, den USA,
Niederlanden und der Schweiz nach Niederkassel gekommen.

Heinrich Linn, der beste Kenner der jüdischen Geschichte an Rhein und Sieg, lieferte in seinem
eindrucksvollen Vortrag neue Fakten zum Geschehen am 9. und 10. November 1938 und zu
den Folgen. Wenige zu Mondorf, denn dort wurden 1947 alle einschlägigen Akten vernichtet.
Zu anderen Orten ist mehr überliefert. Außer den Fragen "Wie konnte es soweit kommen" und
"Wie gehen wir damit um", so Linn, beschäftige ihn die Frage "Wie steht es mit den Tätern?"
Man müsse den Mut haben, die ganze Wahrheit zu nennen. Für Siegburg kennt man den Namen
des Hauptschuldigen mittlerweile: SS-Hauptsturmführer Maus. In einem einzigen Fall, für einen
Ort im Kreis, gab es nach 1945 einen Prozess gegen die Pogrom-Täter. Die Unterlagen dazu
fand Linn kürzlich im Düsseldorfer Hauptstaatsarchiv. Weil der Datenschutz bei Justizakten
streng sei, könne er keine Namen nennen, sagte der Forscher. Immerhin war es hier gelungen,
sechs Schuldige hinter Gitter zu bringen. Betroffen waren indes nicht nur diese. Linn: "Der ganze
Ort wusste Bescheid."

Kölner Stadt - Anzeiger, Ausgabe Rhein - Sieg, 10. 11. 1998


"Gewalt beendet keine Geschichte"
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