Rede von
Herrn Langen am 27. 01. 1998
zur
Eröffnung der Ausstellung "Gewalt beendet keine Geschichte"
im "Rundbau" der Schule
Sehr geehrte Gäste, liebe Schülerinnen und Schüler !
„Und diese Geschichte des deutschen Judentums ist nicht nur die Geschichte von Geistesgrößen jüdischer Herkunft, deren Verlust man beklagt, weil möglicherweise durch ihren Verlust die Anzahl deutscher Nobelpreisträger verringert worden ist, es ist die Geschichte von unzähligen von Millionen Unbekannten, die nie die Chance gehabt haben, nie davon zu träumen wagten, vom schwedischen König in Stockholm Urkunde und Medaille entgegen zu nehmen. Deren Namen findet man auf hunderten, wenn nicht tausenden kleiner bis winziger Friedhöfe, die meistens weit ab von Dörfern und Städtchen sehr versteckt, fast verborgen zu finden sind. Friedhöfe, auf denen niemand mehr beerdigt wird, weil in Dörfern und kleinen Städtchen die zerstörte Nachbarschaft noch schmerzlicher, noch deutlicher, endgültiger zu spüren ist, als in den großen Städten, wo die Großstadtanonymität so manches verdeckt. Die große Wahrnehmung dieser winzigen zahllosen kleinen Friedhöfe erst würde bewirken, was notwendig ist: in Erinnerung rufen und in Erinnerung behalten, diese unzähligen Bürger, Kleinbürger, Arbeiter, Händler - sagen wir getrost Spießer wie du und ich - die da in ihren kleinen Synagogen in Trauer und Angst sich versammelten in der Erinnerung von Vertreibung und Pogromen."
Dieser Text ist nicht von mir, sondern von dem Literatur - Nobelpreis - Träger Heinrich Böll, und er führt uns bereits mitten in das Thema, das wir hier behandeln am 27. Januar, dem Tag, an dem 1945 das Vernichtungslager Auschwitz von vorrückenden alliierten Truppen befreit wurde und der seit zwei Jahren das Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wach halten soll.
Auch auf Niederkasseler
Stadtgebiet, direkt an der Gemarkungsgrenze zwischen Mondorf und
Troisdorf - Bergheim befindet sich ein solcher kleiner jüdischer
Friedhof; wer ihn nicht kennt - Eindrücke von und Informationen
über ihn finden Sie gleich in der Ausstellung.
Bei meinem
ersten Besuch mit einer Schülergruppe dort - es war im Frühjahr
1994 und vor dem anschließenden gemeinsamen Besuch von
„Schindlers Liste" in einem Bonner Kino - dem Film, den
wir übermorgen für unsere älteren Schüler in der
Aula zeigen werden - erläuterte uns Herr Stadtdirektor a.D.
Arnold, der sich die Betreuung dieses Friedhofs zur Aufgabe gemacht
hat, ziemlich wörtlich, dass - so schlimm die Feststellung auch
sei - die Nazis dauerhaften Erfolg gehabt hätten : Niederkassel
sei nach wie vor judenfrei, denn von den Überlebenden wäre
niemand zurückgekehrt und andere Menschen jüdischen
Glaubens nicht zugezogen.
Es stellt sich damit die Frage, ob der Titel dieser Ausstellung „Gewalt beendet keine Geschichte" nicht falsch gewählt ist und Gewalt Geschichte nicht doch beendet hat. Wenn wir das Motto so verstehen, wie es gemeint ist - Gewalt darf Geschichte nicht beenden - sind wir sogleich wieder mitten in der Zielsetzung dessen, was wir beabsichtigen.
Dieses Motto übrigens haben wir bei Prof. Hermann Greive entliehen, dem christlichen Kölner Judaisten, der von einer fanatischen, zum Judentum konvertierten Studentin in der Universität ermordet wurde; es war der Titel seiner letzten Arbeit.
Die Idee zu diesem Projekt geht auf das Jahr 1995 zurück. Damals sind Schülerinnen und Schüler unserer Schule mit mir auf Spurensuche zum Kriegsende gegangen, und es entstand eine Ausstellung mit dem Titel „Ein Andenken vom Schrecken am Rhein", die der eine oder andere Anwesende sicher gesehen hat. Die insgesamt positive Resonanz der Betrachter brachte immer wieder zum Ausdruck, dass das Schicksal der Niederkasseler Juden, das damals am Beispiel der Familie Bernhard Levy dokumentiert wurde, auf besondere Aufmerksamkeit stieß. Dies zu vertiefen, blieb als Zukunftsabsicht übrig.
Die Planung für das Jubiläumsjahr der Schule und die Bitte der Schulleitung um Veranstaltungsvorschläge gab den Anstoß, diesen Gedanken aufzugreifen. Es sollte, so stellte ich mir vor, um die Mondorfer Synagogengemeinde und verwandte Themen gehen und es sollte fächerverbindend und jahrgangsstufenübergreifend angegangen werden.
Ich danke den Schülergruppen und den Kolleginnen und Kollegen, die diese Anregung aufgegriffen und sich engagiert haben. Es sind :
Mädchen und Jungen der 6.
Jahrgangsstufe, insbesondere aus der Klasse 6d, die sich mit Frau
Hasenkamp mit jüdischen Festen und Bräuchen befasst
haben.
Die elfte Jahrgangsstufe ist mit zwei Gruppen vertreten :
ein Philosophie - Grundkurs hat sich mit Herrn Dr. Henke des Themas
„Rassismus" angenommen, während der Gk
Sozialwissenschaften mit Frau von Seggern einiges, sicher auch
Provokantes, über Neonazis zusammengetragen hat.
Frau Koch
hat im Heine - Jahr die Siegburger Verwandten des Dichters unter die
Lupe genommen.
Die Klasse 10a hat im Politik - Unterricht mit mir
an einem Wettbewerb der Bundeszentrale für politische Bildung
unter dem Motto „Denkmal" teilgenommen und dafür
Friedhof und Synagoge betrachtet und die Frage gestellt, wer diese
eigentlich kennt.
Schließlich - die Letztgenannten sind die,
die die meiste Arbeit auf sich genommen haben : die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer des Leistungskurs Geschichte der 13. Jahrgangsstufe,
die die Entwicklung der "Spezial - Synagogengemeinde Mondorf"
im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die
Schicksale einiger ihrer Mitglieder und andere Sachverhalte uns
vorstellen.
Ihr alle habt großen Dank für Eure Mühe verdient.
Diese Aufzählung gibt mir
auch Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass bei so vielen Beteiligten
nicht alle Teile die gleiche Qualität haben können. Es ist
nur natürlich, dass die Bereitschaft bei einigen größer,
bei anderen kleiner war - und das kann der Betrachter sicher auch
erkennen. Und wie 1995 sei mir auch diesmal der Hinweis erlaubt, dass
wir weder ein Stadtmuseum, noch ein Historikerkollektiv sind, sondern
eine Schule - mit all den Einschränkungen, die dies mit sich
bringt : z. B. lassen sich Zeitmangel, fehlende Ausstattung und
fehlende Finanzen nicht immer verheimlichen.
Trotzdem glaube ich,
dass wir mit dem Ergebnis sehr zufrieden sein dürfen.
Das
könnten wir sicher nicht, wenn uns nicht von vielen Seiten Hilfe
zuteil geworden wäre.
Es ist mir ein großes und
ehrliches Bedürfnis allen zu danken, die uns geholfen haben -
und es sind nicht wenige. Viele haben wir heute Abend zu uns
eingeladen, und ich freue mich, dass Sie dieser Einladung gefolgt
sind.
Wenn ich nun trotzdem einige namentlich benenne, so nicht
zuletzt um aufzuzeigen, wie man nach so langer Zeit - immerhin
meldete der Niederkasseler „Amtsbürgermeister als
Ortspolizeibehörde" am 17. August 1942, vor über 55
Jahren in banalisierender Ausdrucksweise : „Die Juden meines
Bezirks sind alle evakuiert" - wie man nach so langer Zeit also
überhaupt etwas in Erfahrung bringen kann. Da ich dabei aus
Zeitgründen nicht jeden nennen kann, dem wir Informationen
verdanken, bitte ich besonders die jetzt Nichtgenannten um
Verständnis.
Beginnen wir bei den Profis - wenn man so sagen darf.
Hier verdient zunächst das
Kreisarchiv Siegburg unter seinem Leiter Dr. Heinrich Linn Erwähnung;
er gilt völlig zu Recht als der Fachmann für das Thema und
hat ein umfassendes Werk dazu anlässlich einer in den frühen
80er Jahren durchgeführten Ausstellung vorgelegt. Heute ist er
nicht bei uns, weil er den ganzen Tag in der vom Rhein - Sieg - Kreis
in Windeck - Rosbach eingerichteten Gedenkstätte für die
„Landjuden an der Sieg" verbringt und ich darf die
Gelegenheit nutzen, alle Interessierten zu einem Besuch dieser
Gedenkstätte einzuladen. Sie ist immer mittwochs und am 1. und
3. Sonntag im Monat jeweils nachmittags geöffnet.
Nicht
minder wertvoll die Unterstützung durch das Stadtarchiv
Niederkassel und seine Leiterin, Frau Rexhaus. Sie war nicht nur
immer für uns da, sondern hat auch gelegentlich bei drohendem
Übereifer zügelnd eingegriffen - danke !
Auch andere
Dienststellen im Rathaus, besonders das Standesamt, waren sehr
hilfsbereit. Erwähnen möchte ich auch das Stadtarchiv
Krefeld; seinen Mitarbeitern verdanken wir das sehr konkrete
Informationsmaterial über Johanna Werner geb. Gottschalk.
Die nächste Gruppe bilden die Heimatforscher im weiteren Sinne. Herrn Arnold habe ich schon genannt, Herr Hellmund hat - in den Troisdorfer Jahresheften - über den Friedhof geschrieben, Herr Sanke und Herr Brodesser über Mondorf.
Große Unterstützung erfuhren wir von Nachkommen und Freunden der jüdischen Mitbürger. Herr Prof. Kossmann und seine Frau stellten Material zu ihrem Vorfahren Heuman Coschmann bereit, Frau Ruth Jenkens und ihr Mann über ihre Mutter Johanna Werner geb. Gottschalk, die Familie Pütz - Kurth über den Freund seit Kindheitstagen Walter Schmitz.
Die vielleicht erstaunlichste Gruppe kommt jetzt : Menschen, die wir noch vor Wochen nicht kannten, und die auf einen Anruf und eine geäußerte Bitte hin Freizeit und Geld einsetzten, um uns weiterzuhelfen. Als Beispiel darf ich Herrn Johann Karp aus Mondorf nennen, der seit Wochen vermutlich kaum etwas anderes mehr tut als alte Mondorfer nach Detailinformationen auszuhorchen - vielen vielen Dank !
Auch in der Schulgemeinde wurde uns große Hilfe zuteil : Herr Pfarrer Müller - Lange als Vater einer beteiligten Schülerin organisierte uns in eigener Initiative die wunderschöne Sammlung jüdischer Kult- und Gebrauchsgegenstände und mein Kollege Elmar Gonsior verschriftete wochenlang mit dem Computer für die heutigen Schüler nicht mehr lesbare handgeschriebene Akten aus dem 19. Jahrhundert in gotischer bzw. Sütterlin - Schrift.
Der letzte Dank gilt zwei
besonderen Menschen, denen wir gewiss nicht nur Freude gemacht
haben.
Dem einen Menschen verdanken wir aus der privaten Sammlung
eine Vielzahl interessanter Dokumente aus der Verfolgungszeit, die
wir zeigen; und ganz zuletzt und unter großen inneren Schmerzen
auch den eigenen Judenstern, der vor über fünfzig Jahren
das äußere Zeichen der Ausgrenzung, Diskriminierung und
Existenzbedrohung gewesen ist.
Der andere Mensch hat schlaflose
Nächte über die Frage verbracht, ob neuer Mut über
alte Ängste siegen kann, und wir haben - so hoffen wir - am Ende
einen guten Weg gefunden. Die beiden kennen sich, denn sie mussten
vor 53 Jahren ein kleines Stück des eigenen Leidensweges
zusammen gehen, sie sind gemeinsam hier und ich danke Ihnen ganz
besonders.
"Gewalt
beendet keine Geschichte"
© 1999/2008 Kopernikus
Gymnasium Niederkassel