Das Wirtschaftsleben der Juden im Siegkreis 1933-1938
Die Machtergreifung von Hitler 1933 sollte einen neuen Abschnitt jüdischer und deutscher Geschichte einleiten.
Schon vor den Reichstagswahlen im März wurden jüdische Geschäftsleute von SA- und SS-Leuten durch wilde Aktionen tyrannisiert. Nach den Wahlen wurden die Aktionen weiter verstärkt.
In Hennef wurde z.B. am 13. März ein 64jähriger Metzger von SA-Leuten in seinem Ladenlokal mit einer Peitsche geschlagen und ihm wurde Rizinusöl eingeflößt.
Die erste
staatlich organisierte Boykottmaßnahme gegen die Juden fand am
1. April statt.
In einem Funkspruch von Hermann Göring heißt
es, dass „die Polizei die Boykottbewegung nicht behindern
solle, und deren Auswirkungen großzügig auffassen solle".
Nach einem etwa fünf minütigen Signal der Brandsirenen wurde die Boykottaktion in Siegburg eingeleitet. Viele jüdische Geschäftsleute beugten sich der Gefahr vor den SA- und SS-Leuten, und schlossen ihre Geschäfte. In den folgenden Tagen wurden mehrere Juden in „Schutzhaft" genommen, da sie sich geweigert hatten, sich an die Verordnungen zu halten.
Auf eine landrätliche Verordnung vom 23.10. hin mussten die Bürgermeister des Siegkreises Bericht über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Juden ihres Bezirkes erstatten. Aus dem, was die Bürgermeister dem Landrat mitteilten, geht eindeutig hervor, dass die Juden sich verschüchtert aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatten und sich keineswegs „staatsfeindlich" betätigten, dass jedoch einige von ihnen sich bemühten, ihr Vermögen ins Ausland zu bringen, um dann selbst bei nächstbester Gelegenheit aus Deutschland zu fliehen.
Um nun auch die in
ihren Heimatgemeinden stark verwurzelten Juden zu vertreiben, ging
die Partei dazu über, die Kunden der Juden einzuschüchtern
und aus den Geschäften fernzuhalten. Die NSDAP bemühte
sich, die Bevölkerung zum Boykott zu zwingen, um die Juden
wirtschaftlich zu vernichten. Da die antijüdischen
Maßnahmen im Siegkreis jedoch nur eine geringe Wirksamkeit
erreichten, versuchte die Partei nun andere Mittel, um die Juden aus
dem Wirtschaftsleben zu verdrängen.
Durch organisierte
Pressekampagnen und verleumderische Artikel gegen einzelne jüdische
Geschäftsleute und deren Warenhäuser versuchte die NSDAP
die Öffentlichkeit gegen die Juden aufzubringen und die Behörden
zum Einschreiten gegen die Geschäfte zu veranlassen. Die
christlich gebundene Bevölkerung des Siegkreises missbilligte
jedoch aufs schärfste den Antisemitismus, und häufig war
der Besuch jüdischer Geschäfte die einzige Möglichkeit,
ihren Protest gegen Willkürmaßnahmen der Partei und ihre
Solidarität mit den betroffenen Juden auszudrücken.
Auch der Versuch,
den Juden im Dezember 1934 das Monopol des
Viehhandels zu nehmen, schlug fehl, da die Bauern großes
Vertrauen in die Juden hatten.
Bis ins Jahr 1938 gingen die
jüdischen Viehhändler weiterhin ihren Geschäften nach,
und die jüdischen Kaufleute hielten ihre Kundschaft. Nach der
„Reichskristallnacht" erfolgte jedoch ihre zwangsweise
Eliminierung aus dem Wirtschaftsleben.
Während des Judenpogroms am 9. Und 10. November 1938 wurden in Siegburg, Troisdorf, Königswinter, Eitorf und Rosbach die Schaufenster der jüdischen Geschäfte eingeschlagen. Den Gesamtschaden bezifferte Landrat Weisheit auf 20000 Reichsmark, sechs von den dreizehn jüdischen Geschäfte in Siegburg wurden beschädigt.
Am 12. November
1938 erließ die Reichsregierung drei Verordnungen, die den
wirtschaftlichen Ruin der jüdischen Bevölkerung des
Siegkreises besiegelten.
Den deutschen Juden wurde eine
„Sühneleistung" von 1 Milliarde RM auferlegt, ihre
Geschäfte wurden geschlossen und den jüdischen Viehhändlern
wurde es verboten, weiterhin ihr Gewerbe auszuüben.
Außerdem
mussten die Juden die Schäden, welche ihnen in der
„Reichskristallnacht" angerichtet worden waren, selbst
zahlen.
Ende 1938 erfolgte die "Zwangsarisierung" jüdischer Betriebe: jüdische Geschäftsleute, Handwerker, Ärzte, Rechtsanwälte und Bauern wurden enteignet, der Verkaufserlös auf Sparkonten angelegt und im Falle der Auswanderung als "Reichsvermögen" eingezogen.
Die Juden des Siegkreises schieden also Ende 1938 endgültig aus dem Wirtschaftsleben aus.
Für die Durchführung der Verordnungen gegen Juden im Deutschen Reich war Reichsinnenminister Frick verantwortlich.
Informationsquelle : Linn, H. Juden an Rhein und Sieg, Siegburg 1983
"Gewalt
beendet keine Geschichte"
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