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Elisabeth Schindler (Name geändert)



Elisabeth Schindler wurde am 29. November 1925 in Köln - Lindenthal geboren. Sie war das uneheliche Kind einer jungen Jüdin und eines recht wohlhabenden galizischen Juden.

Sie wurde auf den Vornamen Elisabeth katholisch getauft und verbrachte einen Teil ihrer ersten Lebensmonate in einem Kölner Waisenhaus.

Im Alter von etwa 18 Monaten kam sie aus dem Waisenhaus in Köln - Sülz als Pflegekind in einen Niederkasseler Ortsteil zur Familie Christian und Christine .... Die Schwester von Christine ... wohnte in Köln - Sülz und hatte sie dazu überredet, ein Kind in Pflege zu nehmen, zumal dies eine monatliche Einnahme (Pflegegeld) ergab.
Die Familie hatte bereits zwei ältere Kinder : eine Tochter ( 20 Jahre älter) und einen Sohn ( 27 Jahre älter). Diese Tochter lebte auch nach ihrer Heirat mit den Eltern in einem Haushalt.

Durch die kleine Landwirtschaft wurde Elisabeth, die recht schwächlich war, dann regelrecht aufgepäppelt und wuchs unbeschwert als katholisch getauftes Kind in einer katholischen Familie in Niederkassel auf. Ihre Pflegeeltern mit Tochter und Schwiegersohn hatten sie liebgewonnen, behandelten sie wie ein eigenes Kind und freuten sich, als sie nach einer Frist von sieben Jahren keine Sorge mehr haben mußten, sie wieder hergeben zu müssen.

Das Ende des Unbeschwertseins nahte, als sie wohl in der 3. Volksschulklasse einen Familienstammbaum erstellen sollte. Sie gab sich viel Mühe mit dem Stammbaum der Familie ..., zumal der fast 100jährige Großvater ihr wertvolle Auskünfte geben konnte. Der Lehrer jedoch maßregelte sie deswegen, und erst jetzt wurde ihr bewußt, daß sie kein leibliches ... - Kind war.Der Schulleiter und dieser Lehrer, jetzt sensibilisiert und durch den Nachnamen und ihr Äußeres mißtrauisch geworden, betrieben nun Nachforschungen, und es stellte sich die jüdische Herkunft heraus, wobei allerdings der Vater zunächst unklar war.

Im 7. Schuljahr erhielt sie von der Volksschule einen "blauen Brief", der ihr den weiteren Schulbesuch verbot; und mit einem Mal waren alle Zukunftspläne der jungen Elisabeth (Handelsschule) geplatzt.

Die Mitteilung der Entlassung mußte ihr im übrigen eine strafversetzte Lehrerin, Frl. Dr. Tiemann, machen. Die Zahlung des Pflegegelds wurde nun auch eingestellt, und aus der Einnahmequelle wurde für die Familie jetzt eine wirtschaftliche Belastung, denn an Arbeitsaufnahme etc. war nicht zu denken.

Während sie sich in Köln frei bewegen konnte - da kannte sie ja niemand -, mied sie im Ort wegen der Verfolgung die Öffentlichkeit. Immerhin wurde sie vom damaligen Polizeichef Baedorf insofern gedeckt, als er ihre Akten bei sich privat aufbewahrte, sie damit der Schnüffelei anderer entzog, und Elisabeth daher auch von der ersten Deportationswelle verschont blieb, obwohl er inzwischen wußte, daß sie "Volljüdin" war.

Anfang 1944 wurde sie dann dienstverpflichtet : 1½ Tage Feldmühle - gefeuert wegen nichtarischer Abkunft, dann 4 Tage Zeitzündermessung in der Dynamit Nobel Troisdorf, anschließend dort von einem Leitenden Angestellten als Botin und Sekretariatsaushilfe beschäftigt.

Da sie aber vom Betriebs - Obmann angeschwärzt wurde (Spionageverdacht), kam sie wieder in die Munitionsproduktion.

Am 10. September 1944 wurde sie morgens um 6.00 Uhr aus dem Bett heraus verhaftet, ins Rathaus, um sich dort selbst abzumelden, und dann nach Siegburg gebracht, mit Eisenbahnwaggons unter SS -.Bewachung nach Köln - Deutz transportiert und dann zu Fuß in das Lager Müngersdorf (Stadion).

Während das Aufenthalts dort wurde sie vom Pflegevater und Tochter (die Pflegemutter war Ende 1942 verstorben) mit Lebensmitteln versorgt. Da sie, anders als die übrigen Leidensgenossen, keine Verwandten im Lager hatte, überredete sie einmal einen Beamten des Grenzschutzes, sie aus dem Lager zur Tante nach Köln - Sülz fahren zu lassen, wo sie sich auch mit den übrigen Verwandten traf. Sie kehrte zurück, wurde aber von Mitgefangenen denunziert und mußte 14 Tage lang alle Latrinen des Lagers schrubben - und diese Latrinen hatten kein Licht, aber nahezu alle Gefangenen Durchfall.

Die sie versorgenden Verwandten waren auch der Grund dafür, daß sie nicht aus dem Lager floh. Ein Versuch ihrer Schwester, bei der GeStaPo Köln ihre Freilassung zu erwirken, scheiterte.

Als das Lager Müngersdorf wegen der vorrückenden amerikanischen Truppen nach Kassel evakuiert wurde, überredete sie eine mutige Bekannte aus Troisdorf zur Flucht.

In Kassel eingetroffen waren die Häftlinge zunächst im Hof einer halbzerstörten Schule, in der russische Kriegsgefangene untergebracht waren, einquartiert. Es kursierte das Gerücht, sie sollten der Organisation Todt für Einsätze im Straßenbau unterstellt werden.

Die Flucht war trotz des Muts (oder der Kaltschnäuzigkeit ?) der Bekannten, die ihre jüdische Mutter bei sich hatte, problematisch. Schließlich war jedermann dienstverpflichtet, und die beiden anderen hatten in ihrem Ausweis ein fettes "J". Sie besaß lediglich einen unverfänglichen, wenn auch nichtamtlichen Dienstausweis der Dynamit Nobel - ohne "J". Häufiger Ortswechsel war daher unumgänglich.

Bei einer Zugkontrolle konnte sie ihren Ausweis zeigen, die Freundin nicht; und diese, die kurz zuvor noch behauptet hatte, die Niederkasselerin sei auf Grund ihres Aussehens ein Sicherheitsrisiko, verließ Hals über Kopf den Zug und ließ ihre jüdische Mutter bei der Bekannten zurück.

Nach mehreren Fahrtunterbrechungen (man konnte ohne Papiere nur Fahrkarten für Strecken unter 100 km lösen) gelangte Elisabeth am späten Abend nach Leverkusen, wo an der Fahrkartenausgabe Leverkusen - Küppersteg eine alte Schulfreundin aufsuchte, die glücklicherweise gerade Dienst tat. Ihre Freundin Elfriede nahm sie mit nach Hause zu ihren Eltern, die sie zu Elisabeths Erstaunen freudig aufnahmen. Pflegevater und Schwester wurden benachrichtigt und versorgten die Familie mit Lebensmitteln. Der betagte Pflegevater brachte die Lebensmittel per Fahrrad nach Leverkusen. Dabei kam er einmal in einen Bombenangriff, den er "um zehn Jahre gealtert" überlebte.

So mit Lebensmitteln versorgt blieb sie etwa vier Wochen, bis sie wieder fliehen mußte. Ehe sie dem Gedanken nachgab, in die Dhünn - einen kleinen Fluß in Leverkusen - zu gehen, machte sie sich auf den schweren Weg nach Hause, wo sie bei Nacht eintraf. Hier blieb sie zehn Tage versteckt. Ihr Schwager, der Hilfspolizist war, verhinderte die Selbstmordabsichten mit Durchhalte - Aufforderungen.

Da sie erkannt worden war, begleitete sie eine Cousine auf der Reise zu deren Mann, der in einem Lazarett bei Glogau in Schlesien lag. Dort wohnte sie zunächst in einem Hotel, suchte trotz fehlender Papiere Arbeit und fand sie schließlich (ausgerechnet) ab dem 25. 12. 1944 beim männlichen Reichsarbeitsdienst. Freilich war sie zu ständigem Lügen gezwungen und schon deshalb ständig in Gefahr, sich durch Widersprüche zu gefährden.

Obwohl ihr dieses sehr wohl passierte - sie hatte sich an Eides Statt auf falschem Namen angemeldet, zur Irreführung Aachen als ihre Heimatstadt ausgegeben und immer wieder einmal jemanden getroffen, der, anders als sie selbst die Stadt gut kannte - wurde sie nicht enttarnt. Ihrem Vorgesetzten, einem aus Cottbus stammenden Oberstfeldmeister, waren die Widersprüche aufgefallen; und obwohl er bei öffentlichen Appellen flammende Reden des Tenors "Die Juden sind unser Unglück" hielt, deckte er sie.

Im Januar 1945 floh sie, zusammen mit der Einheit, vor den vorrückenden Russen zu Fuß bei 20 Grad minus bei Rauten über die Oder und, einen Flüchtlingstreck begleitend, nach Tschechien. Dort führte sie Büroarbeiten aus. Dann ging es Anfang April nach Preßnitz ins Erzgebirge und dann - trotz Angst vor den Amerikanern - zu den Eltern des Oberstfeldmeisters nach Thüringen. Von dort gelangte sie wieder zu der Freundin nach Leverkusen, die sie per Fahrrad nach Niederkassel brachte. Ende Mai, Anfang Juni 1945 war sie wieder zuhause.

Hier ergab sich ein Riesenzufall : eine Nachbarin erzählte einer in Köln wohnenden Freundin von der glücklichen Heimkehr, die ihrerseits in ihrem Haus der leiblichen Mutter von Elisabeth begegnete. Diese hatte Auschwitz überlebt und kam - unangekündigt - mit ihrer christlichen Schwiegermutter zu ihr nach Hause, wo sich Elisabeth gerade mit ihrer Schwester für einen Opernbesuch fertig gemacht hatte. Die Schwiegermutter sagte: "Das ist Ihre Mutter, die wollten Sie ja immer mal kennenlernen !" Elisabeth antwortete verschreckt und verstört : "Nein, früher, jetzt nicht mehr !" und rief ihre Schwester, die der leiblichen Mutter Vorwürfe machte, sich erst jetzt um die Tochter zu mühen. Die Mutter sagte, sie wüßte, daß sie kein Anrecht mehr auf die Tochter hätte. In Auschwitz hätte sie für ihre Tochter gebetet, daß ihr das erspart bliebe. Sie bedankte sich beim Pflegevater und der Schwester für alles, was sie für ihre Tochter getan hatten. Von der Mutter erfuhr Elisabeth, wer ihr Vater war.

Sie hat ihre leibliche Mutter später noch einmal in München, wohin sie gezogen war, besucht, den Kontakt dann aber aus Rücksicht auf ihre Angehörigen und ihren Ehemann, der sie 1948 heiratete, abgebrochen.

Ihr Mann war nämlich ihr ständiger Gesprächspartner ihrer unverarbeiteten Vergangenheit, was er psychisch schwer verkraftete und das Zusammenleben belastete, zumal er immer wieder Pöbeleien Betrunkener bezüglich ihrer jüdischen Abkunft ausgesetzt war. Diese äußerten dann auch die Vermutung, der bescheidene und aus dem Fleiß des Ehemanns entstandene Wohlstand der Familie resultiere ja nur aus der erhaltenen Wiedergutmachungsleistung.

Sie selbst war mindestens einmal auch Gegenstand einer solchen Attacke, als sie 1951 hochschwanger von einem Betrunkenen von einem Wagen gezogen werden sollte, der sie mitnehmen wollte : "Die Jüdin mit ihrem Judenjungen muß hier runter !" Das blieb auch den Kindern nicht verborgen.

Mitte der siebziger Jahren erzählte ihre jüngste Tochter, im Zusammenhang des Holocaust - Films, von ihrer Mutter in der Berufsschule in Köln. Daraufhin malte ihr ein Mitschüler ein Bild, es sollte ein Galgen mit einem Juden daran sein. Ihre Tochter sagte zu ihm : "Und das findest Du auch noch gut." Ihrer ebenfalls empörten Freundin zerschnitt er anschließend die Autoreifen und der Tochter das Mantelfutter an der Garderobe.

Die Vergangenheit ließ sie nicht los, und Elisabeth fragte sich oft, ob es nicht besser gewesen wäre, nicht zu heiraten und ihren Mann und ihre beiden Töchter nicht zu belasten, worunter sie sehr litt und deshalb in ständiger ärztlicher Behandlung blieb.

Dann erhielt sie 1984 ein Schreiben von Yad Vashem aus Jerusalem, in dem man sie bat, einen Bericht ihrer Rettung durch Frau Elfriede S. zu senden. Sie reiste dann nach Israel und machte in Yad Vashem ihre Aussage. So erhielten ihre Freundin Elfriede S., ihre Pflegeeltern Christian und Christine ... (posthum) und ihre Pflegeschwester Adele ... am 19. Juli 1986 in der Israelischen Botschaft die höchste Auszeichnung, die Israel an Nichtjuden vergeben kann.

Sie fragt sich, ob es ein Fehler war, hier wohnen zu bleiben; doch ihr Ehemann wollte es so, weil er hier Arbeit gefunden und eine Existenz aufgebaut hatte.

Nachtrag 2008: Die Dame, die wir hier portraitiert haben, ist inzwischen aus Niederkassel verzogen. Aus Anlass ihres Umzugs hat sie dem Bürgermeister einen Brief geschrieben, in dem sie u. a. betont, dass die Arbeit der Schüler des Kopernikus - Gymnasiums ihr ein Stück ihrer Würde zurück gegeben habe. Das ist eines der schönsten Komplimente, das wir für unsere Arbeit bekommen haben. Dass wir weiterhin mit ihr in einer persönlichen Verbindung stehen, ist selbstverständlich.


"Gewalt beendet keine Geschichte"
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